=== Die Meerjungfrau mit den Piercings ===
Als die Endeavour vor ein paar Wochen in See stach, war sie seit vielen Monaten das erste Walfangschiff, das aus dem Hafen von Norport auslief. Die übrigen vier der fünf Schiffe der Walfangflotte dieser kleinen, bis vor kurzem blühenden Küstenstadt waren zum Teil seit weit über einem Jahr nicht mehr angelandet, und Gerüchte über Piraten, unberechenbare Stürme oder gar eine riesige Walnixe machten im Ort die Runde. Und so begann die Fahrt für die meisten Seeleute, sogar für die hartgesottensten unter ihnen, mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Doch schon wenige Tage auf See machten sie schon ihren ersten großen Fang, und mit jedem eingebrachten Wal und den sich so rasch mit Öl füllenden Fässern im Frachtraum beruhigte sich die Stimmung wieder und mündete schließlich in einem regelrechten Fangrausch. Wenn das Walfangglück so weiterging, würde dies die kürzeste und trotzdem einträglichste Walfangfahrt in der Geschichte des Hafens sein. In ihrer Euphorie waren sie sich sicher: Selbst wenn diese legendäre Walnixe auftauchen würde, würden sie es locker mit ihr aufnehmen können.
Der Kadaver eines weiteren Wals war kaum ausgekocht und seine kostbaren Überreste waren noch nicht ganz verstaut, als sich der Ausguck erneut meldete. Doch es hätte nicht ihn im Krähennest gebraucht, um das zu sichten, was jetzt auftauchte. In unmittelbarer Nähe der Endeavour erhob sich ein gewaltiger Schwanz aus dem Wasser und peitschte eine schäumende Gischt aus Salzwasser auf das Schiff zu. Der Schwanz wölbte sich in die Höhe und gab den Blick auf eine Analrosette frei, die sich nach außen wölbte, bis ein gewaltiger, donnernder Furz entfesselt wurde, dessen fauliger Gestank den Besatzungsmitgliedern ins Gesicht schlug, so dass sie kaum Deckung vor den Holzsplittern von zuvor gefressenen Schiffen finden konnten, die um sie herum auf das Deck und in das Wasser prasselten.
Der Kapitän schielte die Kreatur aus seinen von den Fäulnisdämpfen brennenden, zu schmalen Schlitzen verengten Augen an und rief: „Da bläst sie!“
Ein halbes Dutzend Harpunenboote wurden zu Wasser gelassen und mit den erfahrendsten Matrosen bemannt, und angeführt vom ersten Offizier im vordersten Boot setzten sie zur Verfolgung an. Doch als sie dort ankamen, wo er ihr nächstes Auftauchen erwartet hatte, ließ ein Schrei sie nach achtern blicken, wo der Oberkörper der riesigen Sirene bereits weit über die obersten Masten des Schiffes hinausragte. Im freien Fall, doch aus der Ferne betrachtet wie in Zeitlupe, senkten sich die riesigen Brüste der Kreatur von oben seitlich über das Schiff, drückten die Masten nach Backbord und rissen im Vorbeifallen die Rahen ab, bis sie auf dem Deck aufschlugen, und das Boot mit einem lauten Krachen wie eine Pappschachtel zerdrückten. Von den Matrosen, die nicht die Geistesgegenwart hatten, vom Schiff zu springen, und von denen, die unter Deck waren, war kaum mehr übrig geblieben als ein paar blutige, plattgedrückte Fleischklumpen. Doch die Aufmerksamkeit ihrer riesigen, gierigen Augen galt zuerst den Matrosen, die vor ihr im Wasser trieben, zappelnd und schreiend, die sie nun einen nach dem anderen zwischen den Trümmern herausfischte, zwischen zwei Finger gepresst hinter ihre prallen Lippen schob und für alle anderen gut sichtbar genüsslich ihren Schlund hinuntergleiten ließ, was den Rest der Mannschaft noch mehr in Panik versetzte.
Und so fanden sich in der Dunkelheit ihres Magens, nur beleuchtet vom Zwielicht einiger seltsamer fluoreszierender Kreaturen, nach und nach zwei Handvoll der Deckbesatzung wieder, die dort in einer warmen, ätzenden Brühe schwammen. Dass die Flossen, die sie im bläulichen Glimmen kaum erkennen, nur ertasten konnten, zwar zu Haien gehörten, aber zu leblosen, beruhigte sie nicht, im Gegenteil.
Als sich auf diese Weise alle vorher im Wasser Treibenden wieder versammelt hatten, vernahmen sie von oben eine Reihe knackender Geräusche, durch eine dutzende Meter dicke Fleischschicht gedämpft, und doch durch Mark und Bein gehend, und was ihnen nun den Weg, den sie selbst hinuntergeglitten waren, hinab folgte, war eine Mischung aus Fleischbrei, zermalmten Knochen, aber vor allem aus spitzen, von ösophagealem Schleim triefenden Holzsplittern, die den Magen mehr und mehr füllten und in dem allgemeinen Tumult unter den Matrosen eine klaffende Wunde nach der anderen aufrissen, welche im Säurebad wie Feuer brannten. Nach einer weiteren kurzen Pause weitete sich die Öffnung zum Schlund wieder, diesmal jedoch nur wenige Finger breit, um mit einem Zischen die Gasblase, in die die Eingeschlossenen verzweifelt ihren Kopf zu strecken versuchten, allmählich durch die Speiseröhre zu entleeren. Mit einem laut tobenden Rülpsen entwich ihre letzte Hoffnung auf Atemluft aus dem Maul der Bestie, denn nur eine winzige Luftkuppel blieb ihnen, die sich, da sich der riesige Körper nach unten beugte, um abzutauchen, nach hinten bewegte, sich mit zunehmender Tiefe immer mehr zusammenpresste, so dass die Männer von ihr abgeschnitten wurden und sie in dem Pfuhl aus schleimigem Fischbrei ertranken, was ihnen gnädigerweise das langsame schmerzhafte Verdaut werden bei lebendigem Leibe ersparte.
Als die Harpunenboote endlich zurück waren und inmitten der Trümmer trieben, gab es niemanden mehr zu retten. Die riesige Kreatur war wieder abgetaucht und bereitete sich auf den nächsten Angriff vor. Zitternd starrten die Harpuniere auf das Wasser, ihre stahlarmierten Holzschäfte bereit zum Abwurf, als die Boote eines nach dem anderen, von mannsgroßen Fingern einfach von unten angetippt, auf die Seite gekippt wurden und kenterten. Wieder streckte die riesige Meerjungfrau ihren Oberkörper aus dem Wasser. Während die besonneneren Matrosen versuchten, die Boote wieder aufzurichten oder sich auf ihnen aufzurichten, um ihre Harpunen gegen sie einzusetzen, präsentierte sich den übrigen Matrosen ihre ganze Pracht. Vor Angst erstarrt konnten viele von ihnen nicht anders, als sie mit weit aufgerissenen Augen anzustarren, sie waren wie hypnotisiert vom Anblick der riesigen, nackten Brüste, die im Spiel der Wellen wie riesige Bojen auf und ab wippten, so dass das Wasser gegen ihre Brustwarzen mit den Piercings schwappte, die sie sich aus den Harpunenspitzen der vorangegangenen Fischerboote gemacht hatte. Hätten die Schiffbrüchigen genug Muße gehabt, die Klingen näher zu betrachten, die die beiden Ohrläppchen an diesem Gesicht zieren - hätte es nicht diesen gierigen Gesichtsausdruck, es wäre wahrlich bezaubernd gewesen - sie hätten diese beiden Schmuckstücke als auch die beiden an ihren Nippeln jeweils der Handwerkskunst eines anderen Schmiedes der vier vermissten Walfangschiffe zuordnen können.
Doch nun wiederholte sich das vorherige Spiel: egal ob die Männer es schafften, auf die Boote zu klettern, oder versuchten, von ihr wegzuschwimmen, einer nach dem anderen wurden sie von ihr aufgepickt und - so dass es die vor Angst Erstarrten auch gut sehen konnten - bei lebendigem Leibe verschlungen. Als sie keine Matrosen mehr sah, griff sie sich eine Harpune, bog die Spitze zwischen ihren Zähnen zu einem Ring, brach sie ab und stach sie sich durch den Nasenflügel. Sie sammelte noch ein paar Fässer mit Vorräten aus den Trümmern, die zwischen den gekenterten Booten trieben, zermalmte sie mit den Zähnen, und als sie nichts mehr fand, verschwand sie mit einem Hechtsprung zurück in der Tiefe.
Dabei entging ihr jedoch ein Schiffsjunge, der sich unter einem der gekenterten Boote versteckt hielt, in der dort eingeschlossenen Luftblase atmete und in eines der Segel eingewickelt war, so dass sie ihn auch nicht sah, als sie das Ausmaß der Verwüstung, das sie verursacht hatte, ein letztes Mal von unten in Augenschein nahm. Erst nach Stunden wagte es der Junge, das Boot aufzurichten, es leer zu schöpfen, ein paar Vorräte einzusammeln, die die Sirene ebenfalls übersehen hatte, und das Segel Richtung Küste zu setzen. Wie konnte er ahnen, dass die Geschichte, die er verbreitete, um die Walfänger aus anderen Städten zu warnen, diese sogar dazu anspornen würde, die Meerjungfrau mit den Piercings zu fangen, und er sie so mit noch mehr Leckereien versorgen würde.
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